In unserer ersten Zeitgeist-Kolumne sprachen wir mit Roland Hemmo über seinen Sieg vor dem Landgericht Berlin. Der 1946 in Weißwasser geborene Synchronschauspieler hatte im vergangenen Jahr geklagt, nachdem sein Name nicht im Ab- spann eines von ihm mitsynchronisierten Films genannt wurde – und Recht bekommen.
Roland Hemmo, der in über 1.200 Produktionen so namhaften Schauspielern wie Brendan Gleeson, Jim Broadbent oder Brian Cox seine Stimme leiht, ist außerdem Mitbegründer des Interessenverbands Synchronschauspieler und setzt sich seit Jahren für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen seines Berufstands ein.
www.ivs-ev.info
Seit wann gibt es den Interessenverband Synchronschauspieler und wie kam es zur Gründung?
Der Verband, kurz IVS, hat sich am 1. März 2006 gegründet. Die Situation war damals, dass einige Produktionsfirmen began- nen, Synchronschauspieler als Selbstständige abzurechnen, teilweise mit ausgesprochen widersinnigen und schwer nachzuvoll- ziehenden Begründungen. Sie wollten einfach die Sozialabgaben der Sprecher einsparen. Eine unglaubliche Unverschämtheit mit schlimmen Folgen für uns. Von fehlenden Versicherungszeiten bis zu späteren Renteneinbußen (bei mir etwa 80,00 Euro pro Monat – ein Leben lang). Als Reaktion darauf haben sich mehrere Synchronschauspieler zusammengeschlossen: Das war die Geburtsstunde des IVS.
Wie funktioniert der Austausch unter den Mitgliedern?
Da gibt es zum einen unsere Verbandszeitschrift „Unsyncbar“, die einmal im Quartal erscheint. Außerdem haben wir seinerzeit ein Internetforum eingerichtet, in dem anfangs noch äußerst rege Diskussionen unter den Mitgliedern stattfanden. Bedauerns- werterweise hat die Beteiligung in den letzten Jahren stark nachgelassen. Das gilt leider auch für unsere alljährliche Mitgliederversammlung oder regelmäßig in unseren Büroräumen stattfindende Themenabende. Es ist schade, dass nur ein Bruchteil unserer Mitglieder diese Veranstaltungen wahrnimmt.
Wie viele Mitglieder zählt der Verband heute?
Momentan gibt es 220 registrierte Mitglieder, zwischenzeitlich waren es sogar 280. Es könnten mehr sein, jede Stimme zählt.
Wie steht der IVS zu anderen Verbänden?
Mit dem Verband deutscher Sprecher (VDS) pflegen wir sehr gute Beziehungen. Wir haben auch tatsächlich vor unserer Gründung diskutiert, ob wir uns diesem Sprecherverband anschließen. Allerdings legt der VDS seinen Fokus primär auf die Selbstständigkeit seiner Mitglieder und fasst Sprecher als eine heterogene Gruppe im klassischen Sinn zusammen. Daher haben wir zur Abgrenzung auch die Bezeichnung „Synchronschauspieler“ gewählt. Dementsprechend sind wir dem BFFS inhaltlich eigentlich näher, nicht zuletzt weil deren Vorstandsmitglied Thomas Schmuckert auch viele Synchronarbeiten übernimmt. Mit ihnen arbeiten wir am intensivsten zusammen. Ein Verband, dem ich eher kritisch gegenüberstehe, ist der Synchronverband Die Gilde, da er die oppositionellen Parteien von Produktionsfirmen, Schauspielern und Autoren vereinigt. Aus unserer Sicht eine verbandstechnische und gewerkschaftliche Unmöglichkeit. Alte Weisheit: Wenn wir in einem Boot sitzen, sollten wir froh sein, dass wir nicht alle auf einer Seite stehen!
Wie ist es um die Arbeitsbedingungen deutscher Synchronschauspieler im internationalen Vergleich bestimmt?
Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten, da häufig die Arbeitsumstände in den anderen Ländern ganz unterschiedlich sind. Von einem italienischen Kollegen weiß ich über die Produktionsabläufe in seiner Heimat, dass dort in Kurzschichten von etwa vier Stunden gearbeitet wird und diese auch einzeln abgerechnet werden. In Spanien kam es vor einigen Jahren beinahe zu ei- nem Streik der Synchronschauspieler aufgrund der Löhne und eben auch Arbeitsbedingungen. Das wäre bei uns undenkbar. Ich glaube im internationalen Vergleich schneidet Deutschland eher schlecht ab, was den Umgang mit seinen Synchron- schauspielern angeht. Hinzu kommt, dass es hierzulande schwierig ist, in der Kreativwirtschaft Gewerkschaften zu organisieren. Und ehrlich gesagt ist auch ver.di leider keine große Hilfe.
Ein Erfolg für Sie war hingegen das Urteil vom Landesgericht Berlin. Wie lange mussten Sie darauf warten?
Das ging glücklicherweise relativ schnell. Nachdem ich im März vergangen Jahres die Klage eingereicht hatte, kam das Urteil be- reits Anfang November. Es gibt jedoch auch das Beispiel eines Kollegen, der auf Paragraphen 32a des Urheberrechtgesetzes, also auf Nachvergütung klagt. Dieser Prozess erstreckt sich inzwischen über acht Jahre.
Kann man den Ausgang Ihres Prozesses als Präzedenzfall werten?
Ich denke, das kann man durchaus, zumindest für Sprecher in Hauptrollen. Allerdings bedeutet das Urteil für mich noch nicht das Ende des Rechtsstreits. Das Urteil sagt bisher nur aus, dass der Name des Synchronschauspielers bei Kinovorführungen genannt werden muss. Neue Verwertungsformen wie Streaming- oder Download-Plattformen schließt das leider nicht mit ein. Daher bereite ich mit meinem Anwalt gerade eine zweite Klage vor.
Glauben Sie Ihr Urteil macht es anderen Synchronschauspielern möglich, ihr Recht rückwirkend einzuklagen, beispielsweise bei der Wiederauflage eines Films?
Das ist insofern schwierig, als dass das Urheberrecht gerade in den letzten Jahren immer wieder modifiziert wurde. Auch mein Urteil begründet sich auf einen Entwurf, den es so erst seit wenigen Jahren gibt. Beispielsweise habe ich 1993 Judd Hirsch in der Serie „Taxi“ synchronisiert. 2013 schließlich wurde die komplette Serie in Deutschland auf DVD veröffentlicht, das aktuelle Urheberrecht galt also schon. Dennoch wurde keiner der deutschen Sprecher genannt. Dass eine große Firma wie Paramount, die die DVD-Boxen produziert, vor der Veröffentlichung nicht die aktuellen und veränderten Bedingungen prüft, ist mir unver- ständlich. Wenn man heutzutage die Promillegrenze von 0,8 überschreitet, lässt sich das auch nicht damit entschuldigen, dass man zu meiner Fahrschulzeit vor vierzig Jahren noch einen deutlich höheren Wert angesetzt hat.
Wie reagieren die Produktionsfirmen und Ihre Kollegen auf das Urteil?
Persönliche Rückmeldungen der Firmen auf das Urteil gibt es nicht, deren Reaktion drückt sich eher durch Nichtbeachtung aus, sprich weniger Engagements. Dies ist mir nicht unbekannt. Als vor ein paar Jahren der IVS seine verabredete (!) Musterklage gegen die Berliner Synchron AG eingereicht hatte, hat sich das sichtbar in der Arbeitssituation der Aktiven niedergeschlagen, so dass diese viele Jahre weniger Arbeit hatten. Leider nehmen die Produktionsfirmen so einen Rechtsstreit immer sehr persön- lich. Heute habe ich das Glück als Synchronschauspieler in mehreren Serien beschäftigt und somit gewissermaßen unabdingbar zu sein. Die persönliche Reaktion meiner Berufsgenossen war auch etwas mau. Nur wenige Kollegen haben sich bei mir gemeldet, um mir zu gratulieren. Der generelle Tenor schwankt eher zwischen Desinteresse und Ablehnung, was ich auf ein fehlendes oder zumindest geringes Selbstbewusstsein der deutschen Synchronschauspieler zurückführe. Gut ein Drittel des Berufsstandes ist meiner Meinung nach verhältnismäßig leidenschaftslos am Werk. Die wollen lediglich Geld verdienen und nicht auffallen. Es wundert mich eher bei Sprechern, die auch Schauspieler sind. Denen sollte es nicht völlig gleichgültig sein, wenn ihre kreative Leistung ungeachtet bleibt und herabgewürdigt wird. Aber diese Haltung gibt es, man glaubt es kaum, auch unter Regisseuren.
An welchen weiteren Punkten sehen Sie Bedarf, die Rechte der Synchronschauspieler juristisch einzufordern?
Sie sagen es: Juristisch unsere Rechte einfordern! Das ist wohl der Weg, der uns bleibt: sehr traurig. Die Branche ist nicht in der Lage, ihre Probleme und arbeitsrechtlichen Beziehungen gemeinsam zu regeln. Problematisch wird es immer, wenn jemand alle Rechte an seinem künstlerischen Schaffen abtritt, darum drehte sich beispielsweise auch meine Klage. Verträge müssen in einigen Punkten, hierzu gehört auch die Namensnennung, eben verhandelt werden. Die „formelle“ Abtretung so en passent auf der Rechnungsrückseite ist ungültig, sagt das Urteil, grob gesagt. Sogenannte Total-Buy-Out-Verträge sind leider heutzutage immer öfter Gang und Gäbe. So etwas ist einfach unverschämt und hält gerade in Zeiten derart vielfältiger Verwertungs- möglichkeiten zur Vorsicht an. Erst vor kurzem hat die Firma Scalamedia aus München sogenannte Rahmenverträge versandt, die diverse Grundsätze der Synchronarbeit regeln sollen. Für so eine Art Vertrag macht unser Verband sich zwar schon seit Jahren stark, allerdings ist dieser Entwurf allein deshalb schon inakzeptabel, weil er über unseren Kopf hinweg angefertigt wurde. Stattdessen müsste man sich zusammensetzen und einen solchen Kontrakt gemeinsam erarbeiten. Ich sagte es bereits: So gehört sich das zwischen zwei Partnern. Und: Ohne uns „geht” kein Synchron!
Vielen lieben Dank für das Gespräch!
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Tina Thiele studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und Kulturelles Management in Köln. Sie ist Chefredakteurin von „casting-network. Das Branchenportal”. Mehr zu ihrer Person finden sie in der Rubrik: Über uns.
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