„Der Fisch stinkt vom Kopf – aber ist die Produktion überhaupt noch der Kopf?“ Diese zugespitzte Frage trifft einen Nerv. Denn die Rolle von Produzent*innen wandelt sich fundamental: Wer heute Inhalte entwickelt und realisiert, ist nicht nur kreative*r Ermöglicher*in, sondern auch verantwortlich für Teamführung, Arbeitskultur und nachhaltige Strukturen.
Was macht also eine gute Produktion heute aus? Wer Geschichten auf die Leinwand – oder den Screen – bringen will, braucht weit mehr als ein gutes Drehbuch. Produzent*innen bewegen sich im Spannungsfeld von Kreativität, Finanzierung, Personalführung und einem wachsenden Anspruch an Fairness und Verantwortung.
Wir sprachen mit Jennifer Stahl, die seit zwei Jahren Geschäftsführerin bei der Produktionsallianz Campus ist, über nachhaltige Nachwuchsförderung, den Respect Code Film, über neue Qualifizierungswege wie die zur Vertrauensperson und darüber, wie Produktionskultur heute gedacht und gelebt werden kann.
Wie wird man eigentlich Produzent*in?
Es gibt keinen klassischen Weg. Üblicherweise studiert man an einer der großen Filmhochschulen. Aber es gibt im Bereich Produktion auch viele Quereinstiege – zum Beispiel aus der Redaktion oder kaufmännischen Bereichen. Entscheidend ist, sich in einem sehr komplexen Spannungsfeld zwischen Kreativität, Finanzierung, Teamführung und Markt zu bewegen.
Und – man wächst mit jeder Produktion – aus meiner Sicht natürlich am besten auch mit guten Weiterbildungen.
Wie ist die Idee zur Produktionsallianz Campus entstanden?
Ursprünglich entstand sie aus einem sehr konkreten Bedarf in der Branche: Viele Faktoren haben es schwieriger gemacht, neues Personal zu finden. Die Anzahl der Praktika hat sich deutlich reduziert, doch der Bedarf Berufseinsteiger*innen zu qualifizieren, ist weiter gewachsen. Wir brauchen nicht nur mehr, sondern besser vorbereiteten Nachwuchs – und Strukturen, die vor allem auch diejenigen kontinuierlich qualifizieren, die in den operativen Segmenten einer Produktion einsteigen. Die Produktionsallianz als Arbeitgeberverband hatte das Thema schon länger im Blick. Die Campus als eigenes Unternehmen schafft dafür seit nun mehr zehn Jahren praxisnahe, unabhängige Formate. Unser Kerngeschäft ist die duale Ausbildung im Bereich Produktion und Redaktion. In Kooperation mit Produktionsfirmen übernehmen wir den theoretischen Teil der Ausbildung ihrer Volontär*innen und Trainees in Berlin, München, Köln und Hamburg. Dabei liegt der Schwerpunkt je nach Standort auf den Bereich Fiktion, Entertainment oder Werbefilm. Darüber hinaus ergänzen seit 2019 praxisorientierte Workshops und Weiterbildungen für Produktionsmitarbeitende auf allen Erfahrungsstufen unser Portfolio.
„Nachwuchs ist eine Investition in die Zukunft“ – wie sieht nachhaltige Nachwuchsförderung aus Deiner Sicht aus?
Nachhaltig ist Nachwuchsförderung dann, wenn sie auf drei Ebenen wirkt: Sie muss Talente professionell begleiten – beim Übergang von der Hochschule oder Ausbildung in die Branche, sie muss Unternehmen befähigen, junge Fachkräfte gut aufzunehmen und sie muss langfristige Perspektiven schaffen. Es reicht nicht, jungen Talenten Sichtbarkeit zu geben – sie brauchen Entwicklungsmöglichkeiten, Mentoring, Netzwerke und eine Branche, die sich aktiv mit ihrer Zukunftsfähigkeit auseinandersetzt. Nachhaltige Nachwuchsförderung bedeutet also auch, dass Führungskräfte bereit sind, Verantwortung zu teilen und Räume zu öffnen.
Welche Werte sind Dir persönlich wichtig – und wie bringst Du sie in Deine Arbeit ein?
Transparenz, Beteiligung und Offenheit für andere Perspektiven sind mir besonders wichtig. Ich glaube daran, dass man Strukturen nur verbessern kann, wenn viele Perspektiven eingebunden sind. Deswegen ist ein großer Teil meiner Arbeit auch netzwerkorientiert. Wir sprechen mit Unternehmen, mit jungen Kreativen, mit Politik und auch anderen Weiterbildungsträgern – und übersetzen all das in Formate, die wirklich gebraucht werden.
Was brauchen Produzent*innen heute, um diese Rolle zwischen Kreativität, Verantwortung und Personalführung gut ausfüllen zu können?
Ein gutes Fundament – inhaltlich wie strukturell. Neben künstlerischem Gespür braucht es Kenntnisse in Personalführung. Sie brauchen Haltung, Flexibilität und Wissen. Gerade junge Produzent*innen sind heute mit enormen Erwartungen konfrontiert. Sie sollen Geschichten entwickeln, Budgets sichern, Teams führen, Diversität leben und dabei resilient bleiben. Ohne kollegialen Austausch, Fortbildung und gute Vorbilder ist das kaum leistbar.
Wie sieht Dein ganz praktischer Alltag zwischen Strategie, Netzwerkarbeit und Weiterbildungsentwicklung aus?
Sehr vielfältig – und selten linear. Ich wechsle zwischen strategischen Fragen, konkreter Programmplanung und Gesprächen mit Partnerinstitutionen oder Förderern und Förderinnen. Und ich bin oft in der Rolle der Vermittlerin: zwischen den Bedarfen der Branche, den Möglichkeiten der Förderlandschaft und den Menschen, die wir erreichen wollen.
Die „gläserne Kugel“ der Produzent*innen: Was sind aus Deiner Sicht aktuell die größten Ängste und Sorgen der Produzent*innen und welche Chancen siehst Du für die Branche in den kommenden Jahren?
Viele Produzent*innen kämpfen mit Planungsunsicherheit: schwer planbare Finanzierung, unsichere Beschäftigungsverhältnisse, steigende Anforderungen ohne verlässliche Gegenleistung. Die Sorge, keine qualifizierten Teams mehr zu finden, ist real. Gleichzeitig steckt in der Transformation – sei es technologisch, inhaltlich oder etwa durch kollaborative Arbeitsprozesse – enormes Potenzial. Wer diese aktiv gestaltet, statt sie auszusitzen, wird am Ende resilienter sein. Weiterbildung spielt dabei eine Schlüsselrolle.
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auf der Bühne zusammen mit Rosh Khodabakhsh bei den Medientagen München zu NewMotion | mit Claudia Roth und Björn Böhning auf dem Deutschen Produzententag zur Berlinale 2024 © Thomas Kierok |
Produzent*innen und Schauspieler*innen: Wie wichtig ist der direkte Kontakt zwischen diesen beiden Gruppen und wie sollte dieser Austausch heute und in der Zukunft gestaltet sein?
Sehr wichtig, denn das Verhältnis prägt die Arbeitsatmosphäre am Set und darüber hinaus. Produzent*innen sind oft die Brücke zwischen künstlerischem Ausdruck und strukturellen Rahmenbedingungen. Ein respektvoller, frühzeitiger Dialog auf Augenhöhe – auch über Themen wie Diversität, Rollenverständnis oder Grenzen – ist entscheidend für gelingende Zusammenarbeit.
Respect Code Film: Wie siehst Du die Rolle des Respect Code Film für die Branche?
Welche Veränderungen erhoffst Du Dir durch die Einführung dieses Codes und wie wird er in der Praxis umgesetzt?
Der RCF ist eine gemeinsame Initiative der Produktionsallianz, ver.di und des Bundesverbandes Schauspiel e. V. und ein klares Bekenntnis zu fairen, respektvollen und sicheren Arbeitsbedingungen. Was ihn besonders macht, ist seine breite Trägerschaft: unterzeichnet von Sendern, Verbänden und Gewerkschaften. Damit formuliert er erstmals einen branchenweiten Konsens zu Themen wie Schutz vor Machtmissbrauch, Antidiskriminierung, Gleichstellung, Arbeitszeiten und mentaler Gesundheit. Ein zentrales Element des RCF ist die Ernennung von Vertrauenspersonen, die als erste Anlaufstelle für Betroffene dienen. Diese Personen sollen in der Lage sein, vertrauliche Gespräche zu führen, Unterstützung anzubieten und gegebenenfalls weitere Schritte einzuleiten. Genau da setzen wir mit unserer Weiterbildung an. Gemeinsam mit unserem Partner FAIR PLAY Film + Kultur bieten wir ab Herbst ein zertifiziertes Qualifizierungsprogramm zur Vertrauensperson an, das Theorie und Praxis verbindet. Dieses Programm vermittelt nicht nur rechtliche Grundlagen und Kenntnisse über den RCF, sondern auch Fähigkeiten in Kommunikation, Konfliktlösung, Sensibilisierung für Machtstrukturen am Set und Handlungskompetenz im Ernstfall. Ziel ist es, dass Vertrauenspersonen kompetent und empathisch agieren können, um ein respektvolles Arbeitsumfeld zu fördern und zu erhalten. Für uns im Verband und bei der Campus sind die Einführung des RCF und die Ausbildung von Vertrauenspersonen entscheidende Schritte, um strukturelle Veränderungen in der Branche zu bewirken.
Wie erlebst Du die Zusammenarbeit mit Initiativen wie New Motion oder auch jüngst mit Fair Play?
Was bringen diese Kooperationen für den Alltag in der Branche und wie wichtig sind diese?
Extrem bereichernd. NewMotion ist für uns ein starkes Beispiel dafür, wie kulturelle Bildung, Inklusion und Nachwuchsförderung gemeinsam gedacht und konkret umgesetzt werden können. Wir haben mit diesem Projekt ein klares Ziel: mehr Sichtbarkeit und Zugänge für Berufe hinter der Kamera, für die es oft keine klassischen Ausbildungswege gibt. In diesem Rahmen bieten wir strukturiertes Job-Shadowing an Filmsets und in Filmbetrieben an, das den Teilnehmenden realistische Einblicke in Berufe der Branche ermöglicht. Parallel arbeiten wir an einer digitalen Plattform, die diese Berufe sichtbar macht und die über die Branche und Einstiegsmöglichkeiten informiert und vor allem eine Orientierung gibt – gerade auch für Menschen ohne institutionelle Vorerfahrung in der Filmwelt.
Während wir bei NewMotion Formate für den Berufseinstieg anbieten, adressieren wir mit FAIR PLAY die Beschäftigten in der Produktion. Unser Leadership-Training bspw. richtet sich an Personen in leitenden Positionen mit Personalverantwortung, also Menschen, die tagtäglich Strukturen prägen, Teams führen und den Ton am Set setzen. Denn wir sind überzeugt: Eine respektvolle und faire Branche entsteht nicht allein durch einen gut geschulten Nachwuchs. Sie entsteht erst dann, wenn auch die Verantwortlichen bereit sind, dazuzulernen, Haltung zu zeigen und neue Führungsmodelle zu leben. FAIR PLAY bringt dafür enorme inhaltliche Tiefe für die Vermittlung konkreter Werkzeuge mit. In Kombination mit unserer Nähe zur Branche und unseren Netzwerken entsteht daraus ein wirkungsvolles Angebot, das an den richtigen Stellschrauben ansetzt. Gute Führung ist kein Soft Skill – sie ist ein Produktionsfaktor.
Kooperationen bedeuten für mich: Zuhören, gemeinsam agieren und Verantwortung teilen, damit Veränderung nicht als Bedrohung, sondern als Chance begriffen wird.
www.linkedin.com/in/jennifer-stahl
Vielen Dank für Deine Zeit. Wir sind gespannt, wer die Nachfolge von Björn Böhning antreten wird, der sein Amt als Geschäftsführer der Produktionsallianz verständlicherweise im Zuge seiner Berufung zum neuen Staatssekretär niederlegen muss.
Aus einem Seminar des Ausbildungsprogramms AV!Camp | Das Fest der Produktionsallianz 2024 © Thomas Kierok |
Telefon: | 0221 - 94 65 56 20 |
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