Manchmal reicht Talent allein nicht aus – es braucht auch Mut, um in einer Branche neue Wege zu beschreiten. Diesen Mut hat Jens Roth vor 25 Jahren bewiesen: Er hat als Schauspiel-Coach experimentiert, seine eigene Technik entwickelt, konsequent daran geglaubt und sie letztlich zu einer Marke gemacht. Mit SourceTuning® hat er etwas geschaffen, das Schauspieler*innen hierzulande nun über viele Jahre begleitet, inspiriert und geprägt hat. Dabei war nichts an seiner Laufbahn selbstverständlich. Der Umzug von Hamburg nach Berlin Ende der 1990er-Jahre war ein Sprung ins Ungewisse – und gleichzeitig die Initialzündung für eine Reise, die Theater, Film, Coaching und schließlich auch ein Buch umfasst. Wer Jens Roth kennt, spürt sofort: Es geht bei ihm nicht allein um Methode, sondern um Leidenschaft, Kollegialität und ein tiefes Vertrauen in die kreative Kraft des Menschen.
© Andreas Schlieter
Anlässlich des Jubiläums haben wir mit Jens Roth gesprochen – einem Coach, der echte Pionierarbeit geleistet und die Ausbildungskultur im Schauspiel ein Stück weit verändert hat. Über Jahrzehnte hat er zahlreiche Schauspieler*innen begleitet – darunter Persönlichkeiten wie Yvonne Catterfeld, Yördis Triebel, Aylin Tezel und Edin Hasanović – und dabei stets seine Neugier bewahrt. Im Gespräch erzählt er, wie SourceTuning® entstanden ist, warum Humor für ihn ein Prüfstein für gute Lehrer ist, welche Wege er in Berlin zur Jahrtausendwende beschritten hat und wie aus all diesen Erfahrungen eine Technik, eine Marke und ein Netzwerk entstanden sind. Und weil es im Leben nicht nur um Arbeit geht, sondern auch um das persönliche Glück, freuen wir uns besonders, dass Jens Roth zu seinem 25-jährigem Jubiläum die Podcast-Reihe „Lucky Charms – Was uns glücklich macht …“ ins Leben gerufen hat.
🔹 1. Von der Idee zur Marke – Was ist SourceTuning®?
Jens, Du hast SourceTuning® über viele Jahre entwickelt.
Wie würdest Du diese Technik heute in wenigen Sätzen beschreiben?
Prämisse, um diese Technik zu beschreiben, ist, dass es bei uns Menschen zwei Steuerungssysteme gibt: die intuitive Steuerung und den logischen Verstand. Die intuitive Steuerung ist komplex, aber nicht kompliziert und extrem schnell im Aufnehmen und Umsetzen von Informationen (Stichwort Fahrradfahren). Wir empfinden uns im Flow, sobald sie die Steuerung übernimmt. Wir stehen uns aber oft mit erlerntem logischem Denken und Urteilen über uns selbst und andere im Wege, so dass die intuitive Steuerung weniger gut arbeitet. SourceTuning® führt diese beiden Steuerungen zusammen, so dass wir die intuitive Steuerung nicht behindern, sondern sie bewusst für uns arbeiten lassen können.
SourceTuning® wurde ursprünglich als Schauspieltechnik entwickelt. Es gab aber von Anfang an auch schon Überschneidungen in Richtung Persönlichkeitsentwicklung für Schauspieler*innen, z. B. in dem Workshop „Helden und Loser“, in welchem die Künstlerpersönlichkeit im Fokus steht. Seit 2018 biete ich die Technik aber auch gemeinsam mit der Psychologin Jannika Petermann im Bereich Persönlichkeitsentwicklung und Körperpsychotherapie an.
Gab es eine Initialzündung, wo Du gemerkt hast: Ich stehe an einem Scheideweg?
Ja, als ich 1999 nach Berlin gezogen bin, war das ein Umbruch für mich. Davor hatte ich acht Jahre fast durchgehend in verschiedenen Theaterproduktionen quer durch Deutschland gearbeitet, aber ich konnte mich mit vielen Strukturen dort nicht identifizieren. Mein eigener Weg wurde wesentlich geprägt durch meine Lehrerin Olivia Rüdinger, die die private „Schule für Schauspiel Hamburg O33“ mit gegründet hat. Ich war einfach durch die Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit ihr sehr anspruchsvoll, was das Zusammenspiel und die Kreativität betrifft. Die Arbeit bei Olivia war für mich wie ein kreatives Paradies, eine Klasse mit etwa zwölf Leuten, die alle mit voller Leidenschaft und 150 Prozent Einsatz dabei waren. Es war eine Zeit voller Kreativität, Sinnlichkeit, Humor und Abenteuer. Und das war es, was ich im Beruf des Schauspielers wieder erleben wollte. Ganz nebenbei: Für mich war es immer wichtig, dass die Lehrer Humor haben, denn das ist ein Zeichen für gute Lehrer. Das hat mich sehr geprägt.
Wie war der Einstieg in Berlin zur Jahrtausendwende für Dich?
Ich habe mir den kreativen Raum selbst erschaffen und nicht mehr darauf gewartet, dass er mir von außen angeboten wird. 2000 habe ich meinen ersten Kurzfilm selbst finanziert und gedreht. 2001 folgte mein erstes eigenes Theaterstück, das ich inszeniert habe. Das war der Moment, in dem ich wirklich in Berlin angekommen bin. Es war eine aufregende Zeit mit vielen neuen Möglichkeiten und Herausforderungen.
Und wie wurde aus Deiner Idee eine geschützte Marke, die inzwischen international bekannt ist?
Nachdem es vorher Energiearbeit hieß, habe ich 2006 nach einem spezifischen Namen gesucht und bin auf SourceTuning® gekommen. Das deutsche Äquivalent Quellen-Einstimmung klang unsexy, und ich dachte im Hinblick darauf, dass die Technik auch mal international bekannt werden könnte, wäre SourceTuning® ein passender Name. Die europäische Marke wurde 2007 reserviert. 2014 habe ich die Marke dann auch für Kanada und die Vereinigten Staaten schützen lassen.
Mit meinem Buch „SourceTuning – die verlässliche Intelligenz des Körpers“, welches 2015 veröffentlicht wurde, ist die Technik eigentlich erst so richtig eine Methode mit Strukturen und einer klaren Anleitung geworden. Insgesamt habe ich sieben Jahre an dem Buch gearbeitet. Um die Methode und die inneren Vorgänge der Spieler*innen besser zu begreifen und beschreiben zu können, habe ich anhand von Fragebögen Feedback von Schauspieler*innen eingeholt, wie sie die Arbeit mit SourceTuning® empfinden, und das habe ich in die Arbeit am Buch mit eingebracht. Mit dem Erscheinen des Buches war SourceTuning® eine offene und für jedermann zugängliche Quelle, um frei damit experimentieren zu können.
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Yvonne Catterfeld in „Wolfsland“ | Jördis Triebel in „Westen“ | Franziska Weisz in „Führer und Verführer“ |
🔹 2. Wer hat's erfunden? – Mehr über Dich.
Du warst ja quasi Pionier als Coach und Workshop-Leiter zu einer Zeit, als das noch nicht salonfähig war.
Wie hast Du das erlebt?
Wir waren zu Anfang meiner Arbeit als Filmcoach – sagen wir mal so richtig ab 2003 – noch die „Männer und Frauen im Schrank“. Erst in den letzten Jahren sind wir endlich aus dem Schatten getreten und bekommen die Anerkennung, die uns gebührt. Ein besonders schöner Moment für mich war im Jahr 2023, als mich Aylin Tezel bei der Premiere ihres Films „Falling into Place“ – ihrem Debüt als Drehbuchautorin und Regisseurin – auf die Bühne holte. Ich hatte sie in der Regiearbeit sowie bei der Vorbereitung ihres Ensembles unterstützt, gemeinsam mit meiner damaligen Teamkollegin Samira Julia Calder. Mir wurde bewusst, dass ich zwar öfter auf Premieren eingeladen war, aber in über 20 Jahren nie als Teammitglied auf die Bühne geholt wurde. Das war tatsächlich das erste Mal. Wohingegen mich Schauspieler*innen wie Edin Hasanovic oder Jördis Triebel schon öfter bei Preisverleihungen öffentlich erwähnt haben. Das war sehr wichtig für die Sichtbarkeit meiner Arbeit, und ich bin ihnen sehr dankbar für diese Art von Wertschätzung.
Du hast eine intensive Ausbildung hinter Dir, viele Jahre Theater gespielt, später auch für den Film gearbeitet.
Wie hat Dein persönlicher Weg Deinen Zugang zu SourceTuning® geprägt?
Olivia hat damals Rollen-Improvisation und Körperarbeit unterrichtet und mir gezeigt, wie kreativ der Körper funktioniert, wenn ich ihn nicht behindere. Die Arbeit mit ihr hat zum einen bewirkt, dass ich tief mit meinem Körper verbunden war. Dem stand ich aufgrund meiner Geschichte erst mal skeptisch gegenüber. Zum anderen hat sie mir gezeigt, je weniger ich mich anstrenge und loslasse, desto effektiver und freudvoller arbeitet mein Körper. Ich wusste, das ist meine Art zu arbeiten, und das hat mir eine große Integrität in der Arbeit und viel Freiheit und Spielfreude beschert. Und das ist es, was mich bis heute bewegt: Wir haben einen großartigen Beruf, der unglaublich viel Spaß machen kann. Jeder hat seinen eigenen Schatz an Kreativität, den es zu befreien gilt - und das möchte ich vermitteln.
Was motiviert Dich heute nach 25 Jahren noch, weiterzuforschen und zu lehren?
Was mich bis heute bewegt, ist meine unstillbare Neugier, was Menschen, ihre Kreativität und ihr Potenzial an Schönheit und Freiheit betrifft. SourceTuning® ermöglicht es mir, immer wieder über Menschen zu staunen, weil sie selbst über sich staunen können und darüber, was aus ihnen heraussprudelt, wenn sie sich selbst die Erlaubnis geben.
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Edin Hasanović in „Im Westen nichts Neues“ |
Samira Julia Calder, Aylin Tezel und Jens Roth bei der Premiere von „Falling into Place“ |
Pasquale Aleardi in |
🔹 3. Jubiläum – Wie wird gefeiert?
25 Jahre SourceTuning® – das ist ein besonderes Jubiläum! Wie feierst Du diesen Meilenstein?
Ja, das ist wirklich etwas sehr Besonderes für mich, das ich würdigen möchte. Ich hatte schon länger die Idee eines Podcasts mit dem Thema Glück und Glücklichsein. In einer Zeit, in der wir als Menschheit vor so vielen Herausforderungen und Problemen stehen, wollte ich den Fokus mal wieder auf das „Wohin“ richten. Was sind unsere positiven Werte? Warum lohnt es sich, zu leben? Wofür lohnt es sich, einzustehen? Und dann kam das Jubiläum von SourceTuning® dazu und ich dachte: Das ist es. Ich möchte beides kombinieren. SourceTuning® hat mich und auch schon viele andere Menschen glücklich machen können, und es spiegelt die Werte wider, die mir wichtig sind. Daher startet unser neuer Podcast „Lucky Charms - Was uns glücklich macht …“ Mitte September mit einer Geburtstagsfeier für 25 Jahre SourceTuning®. Lucky Charms heißt übersetzt Glücksbringer.
Magst Du uns mehr zu dem Podcast sagen?
Die ersten 25 Folgen des Podcasts werden immer einen kurzen Teil Rückblick auf die jeweiligen Jahre werfen. Was waren die Lebensumstände, wo stand ich als Coach und Künstler. Und dann lade ich einen Gast ein – einen persönlichen Glücksbringer, den ich im jeweiligen Jahr kennengelernt habe, und der dazu beigetragen hat, dass diese Technik dahin kommt, wo sie heute ist. Später wird es nur noch um das Thema Glück und Glücklichsein gehen, und die Gäste können aus unterschiedlichen Lebensbereichen sein. Bei den Schauspieler*innen möchte ich mich für ihre Treue und ihr Vertrauen mit einer Workshop-Ermäßigung zwischen 20 und 15 Prozent bedanken. Diese Ermäßigung gilt für alle Workshops, die bis zum 13. September gebucht werden und noch in diesem Kalenderjahr stattfinden.
Wer gehört zu Deinen Podcast-Gäst*innen und langjährigen Klient*innen?
Ich arbeite schon sehr lange mit einigen namhaften Schauspieler*innen zusammen. Darunter zum Beispiel seit 20 Jahren mit Yvonne Catterfeld und beinahe genau so lange mit Jördis Triebel. Auch Marion Kracht oder Steffen Groth und Hanno Koffler werden dabei sein. Es sind also sehr spannende und zum Teil langjährige Partnerschaften, die ich vorstellen werde.
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Jens Roth und Thomas Bartholomäus |
Jens Roth und Caroline Scholze © Roth Coaching |
Jens Roth und Yvonne Catterfeld © Roth Coaching |
🔹 4. Workshop-Einblick – Ich war dabei!
Beim „Boost Your Character“-Workshop bei pottcast.nrw in Bochum durfte ich live dabei sein, als Du mit Schauspieler*innen gearbeitet hast. Was sind die wichtigsten Inhalte Deiner Workshops?
Jeder Workshop hat eine etwas andere Gewichtung. Manche gehen in Richtung Casting oder E-Casting-Vorbereitung, manche zeigen die Kombination mit anderen Techniken – zum Beispiel Animalwork – auf oder richten den Fokus auf Improvisation auf der Basis von SourceTuning®. Sie alle haben eines gemeinsam: Ich möchte den Schauspieler*innen vermitteln, dass die Rollen- und Spielangebote, die aus dem Körper kommen, sehr viel vielschichtiger, überraschender, eigener und unkonventioneller sind, als das meiste, was der logische Verstand konstruiert hat.
Und was nimmst Du selbst aus diesen Begegnungen mit?
Ich nehme aus jedem der Workshops ein Stück Befreiungsprozess der Teilnehmer*innen mit, und das macht mich sehr glücklich. Das Gefühl, dass sie in ihrer Kreativität sind – und zwar in ihrer gesunden Kreativität. SourceTuning® ist eine Technik, die sehr viel Wert auf die psychische Gesundheit legt. Sie lässt einen erfahren, dass wir mehr sind als die Summe dessen, was wir in unserem Leben erlebt haben.
Es gibt viele Techniken im Schauspiel, wie Chubbuck, Meisner oder Stella Adler.
Wie siehst Du Deine Methode im Vergleich dazu?
Ich denke, jeder hat seinen eigenen Werkzeugkoffer. Ich finde es völlig in Ordnung, wenn Schauspieler*innen mehrere Techniken nutzen. Meine passt besonders gut zu körperlich-intuitiven Techniken wie Grotowski, Stanislawski, Tschechow oder Stella Adler. Die Methoden, die stark auf das Privatleben setzen, passen weniger zu meinem Ansatz. Mein Kern ist, dass man nicht aus dem eigenen Privatleben schöpft, sondern aus einem kreativen Kern, der etwas Neues erschafft. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu anderen Methoden. Schauspieler*innen, die versuchen, meine Technik mit solchen Methoden zu kombinieren, haben manchmal Schwierigkeiten, weil die Herangehensweisen sehr unterschiedlich sind. Stella Adler und Lee Strasberg haben zu ihrer Zeit in dem Punkt auch nicht zusammengefunden.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit Casting Directors und Agenturen?
Ich kenne inzwischen viele Caster*innen persönlich und lade sie regelmäßig zu meinem Halbjahresprogramm ein. Dort arbeiten wir gemeinsam an Kommunikation und Begegnung auf Augenhöhe – das ist wichtig, um eine professionelle und vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen. Die Resonanz darauf ist sehr positiv, und die Zusammenarbeit wird immer besser. Aktuell biete ich gemeinsam mit dem Caster Emrah Ertem einen Workshop mit dem Titel „Frei und kreativ im Casting“ an. Es geht sehr stark darum, wie Schauspieler*innen als Persönlichkeit mit der Casting-Situation umgehen. Nicht nur, wie gut sie eine Szene spielen, obwohl das sehr eng zusammenhängt. Schauspieler*innen können nicht gut sein, wenn sie gefallen wollen oder vermeintliche Erwartungen erfüllen wollen. Sie brauchen Freiheit und Spielfreude, um gut zu sein und müssen sich diesen Freiraum schaffen.
🔹 5. Ausbildung – Wie lehrst Du SourceTuning®?
Wissen ist nur so gut, wie es weitergegeben und erhalten wird.
Du bildest daher auch in der Source-Tuning®-Technik aus. Magst Du hier mal einen Einblick geben?
Um sicherstellen zu können, dass Menschen auch ohne mich eine fundierte Einführung in die Technik bekommen können, habe ich 2015 mit der ersten Coaching-Ausbildung begonnen. Mein jetziger Teampartner Thomas Bartholomäus war einer der ersten beiden ausgebildeten SourceTuning®-Coaches. Mit dem diesjährigen Jahrgang sind es inzwischen 27 ausgebildete Coaches. 20 davon im Bereich Schauspiel, sieben im Bereich Personal Coaching oder in beiden Bereichen.
Wie läuft so eine Ausbildung ab?
Es gibt inzwischen zwei verschiedene SourceTuning®-Coaching-Ausbildungen. Eine im Bereich Personal-Coaching, die ich mit der Psychologin Jannika Petermann gemeinsam gebe, und die andere im Bereich Schauspiel. Diese unterscheiden sich wesentlich. Im Schauspiel geht es darum, Drama zu kreieren, im Personal Coaching geht es darum, Dramen aufzulösen. Entsprechend ist auch der Fokus in den beiden Ausbildungen ein anderer. Was beide Ausbildungen gemeinsam haben, ist, dass ich für die Arbeit mit SourceTuning® eine unvoreingenommene Haltung einnehmen muss, die meinem Gegenüber signalisiert: Egal was jetzt aus dir herauskommt, es ist willkommen und gut aufgehoben – also so eine Art Hebammen-Funktion. Es war in der ersten Ausbildung nicht so geplant. Es hat sich aber gezeigt, dass eine Coaching-Ausbildung auch immer zum Teil Persönlichkeitsentwicklung ist. Wenn ich ein Problem mit etwas habe und die Bremse anziehe, werde ich meine Klient*innen schwer darin unterstützen können, die Bremse zu lösen. Wenn zum Beispiel ein Coach ein Problem damit hat, seine Stimme laut und kraftvoll im Raum klingen zu lassen, dann hält sich die ganze Gruppe im Workshop zurück und ist tendenziell leise. Es ist wichtig, sich und anderen die Erlaubnis zu geben, sich auszudrücken.
© Carsten Zoltan
Was ist Dir besonders wichtig in der Arbeit mit Schauspieler*innen?
In der Arbeit mit Schauspieler*innen ist es mir wichtig, dass sie mit ihrer ureigenen Kreativität verbunden sind, dass sie sich selbst vertrauen können und dass sie ihre eigene Kreativität integer und auf Augenhöhe nach außen hin vertreten können. Und vor allem auch, dass sie Freude und Genuss an der Arbeit haben. Nichts schützt so gut vor Beurteilung und macht freier, als der Genuss an der Arbeit. Es richtig machen zu wollen, der Regie oder anderen gefallen zu wollen, sind Verhinderer und Spielverderber und führen oft zu mittelmäßigen Angeboten von der Stange.
Wie organisierst Du Deine Arbeit mit den Schauspieler*innen?
Hast du für jede*n einen Ordner oder wie läuft das?
Ja, für jeden gibt es einen Ordner mit allen wichtigen Informationen, inklusive Filmausschnitten oder Fotomaterial. Ich habe auch noch ältere Aufzeichnungen aus früheren Jahren. Natürlich ist die Organisation über die Jahre immer umfangreicher geworden, und seit ich den Computer gewechselt habe, habe ich alles digital erfasst. Es kostet zwar Zeit, aber es gibt mir einen guten Überblick und ermöglicht eine strukturierte Arbeit.
🔹 6. Vision & Weiterbildung – Der Körper als Instrument
Du sprichst oft von der „Intelligenz des Körpers“.
Welche Rolle spielen Körperbewusstsein, Vision und Weiterbildung im heutigen Schauspiel?
Das sind für mich drei wichtige Themen: Körperbewusstsein ist für Schauspieler*innen unerlässlich. Es ist zwar gut in dem Beruf, einen scharfen Verstand zu haben und Situationen analysieren zu können, aber letztlich geht es darum, sich sinnlich in eine Situation zu begeben. Indem ich sie erlebe, lasse ich sie die Zuschauer*innen erleben. Und mit je mehr Hingabe und Freude ich das tue, desto besser kann ich ein Publikum in die Welt meiner Rolle mitreißen.
Die eigene Vision einer Rolle finde ich ebenfalls wichtig. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass ich eine Rolle bekommen habe, obwohl die Regie sich diese typmäßig anders vorgestellt hatte, weil ich sie von meiner Phantasie der Rolle überzeugen konnte. Wichtig ist aber auch hier, dass die Vision nicht nur eine Kopfgeburt ist, sondern dass ich diese spüren und verkörpern kann, dass sie vielschichtig und mehrdimensional und nicht linear konstruiert ist. Viele Schauspieler*innen trauen sich nicht, ihre eigene Vision zuzulassen und versuchen, sich vermeintlichen Erwartungen anzupassen. Dabei geht es hier um Kunst, und da ist immer auch eine subjektive Sicht der Dinge gefragt. Es gibt kein ultimatives Richtig oder Falsch. Es gibt nur stimmig und glaubhaft – oder eben nicht.
Weiterbildung spielt für jeden Menschen eine wichtige Rolle. Zumal wir in einer Zeit leben, in der Entwicklungen immer schneller stattfinden und diese eine enorme Beweglichkeit von uns fordern. Es gibt nur wenige Menschen, die alle Entwicklungsprozesse allein aus sich selbst heraus schaffen. Jeder hat Behinderungen und blinde Flecken, die eine Spiegelung von außen brauchen oder jemanden, der Mut macht, über den eigenen Schatten zu springen. Ich wäre nirgendwo hingekommen, wenn ich nicht zur richtigen Zeit Menschen begegnet wäre, die mich in meinen Prozessen unterstützen. Ich hatte zum Glück den richtigen Instinkt, diese Menschen zu finden.
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© Carsten Zoltan | © Roth Coaching |
Welcher wissenschaftliche Ansatz steckt hinter SourceTuning®?
Als ich SourceTuning® entwickelt habe, gab es keinen wissenschaftlichen Ansatz. Die Basis war mein Vertrauen in meinen Körper als kreatives Instrument, so wie ich es damals in der Schauspielausbildung erleben durfte. So wie zum Beispiel ein Warm Up von Olivia, aus dem sich die SourceTuning®-Technik entwickelt hat. Ich habe Dinge ausprobiert und gemerkt, dass sie gut funktionieren. Und was gut funktioniert hat, habe ich weiterentwickelt, bis eine Technik daraus wurde. Erst später habe ich mit der Psychologin Jannika Petermann angefangen, wissenschaftlich zu forschen. Sie hat mir im Nachhinein mit psychologischen Fachbegriffen erklärt, was ich da eigentlich mache und warum es funktioniert. Wer mehr wissen möchte, kann das in ihrer Masterarbeit nachlesen, die man über Petra in meinem Büro anfragen kann.
Was braucht es, um als Schauspieler*in wirklich lebendig zu bleiben?
Ich finde das Wichtigste was Schauspieler*innen brauchen, um lebendig zu sein, ist ihre Neugier und die Lust am Unvorhersehbaren – die Fähigkeit, immer wieder von sich selbst überrascht zu werden. Das ist eine wesentliche Eigenschaft meiner Technik. Ich setze mich auf den Stuhl für die Rollenarbeit und weiß nicht, was da gleich aus mir herauskommt. Das schafft übrigens auch in den Workshops eine sehr schöne Atmosphäre, den gegenseitigen Respekt für den Mut, sich auf den Moment einzulassen und das Staunen über das, was da aus meinem Gegenüber heraussprudelt.
Was ist das Gesunde an Deiner Technik?
Das Schöne an dieser Schauspieltechnik ist, dass sie sehr gesund ist. Die eigene Kreativität über das Unterbewusstsein kann sehr klar zwischen meinem Innenleben und dem der Rolle unterscheiden. Der Körper ist außerdem erstaunlicherweise in der Lage, uns Dinge spürbar zu machen, die nicht dem eigenen Erfahrungsschatz entsprechen. Wenn wir ihn nach bestimmten Erlebnissen der Rolle befragen, antwortet er uns auf der Erlebnisebene in feinen Spannungszuständen, die auch starke Bilder generieren können. Ich kann auf diese Weise in sehr leidvolle und tief emotionale Erfahrungen der Rolle einsteigen und sie authentisch durchleben. Ich kann aber auch zum Glück durch kräftiges Schütteln wieder aus dieser Erlebniswelt aussteigen. Das finde ich sehr gesund. Und das schafft Spielfreude. Ich muss kein Leid erleben, nur meine Figur durchlebt es. Ich will als Schauspieler*in Abenteuer und Intensität, aber ich will nicht privat dafür leiden müssen. Ich darf psychisch kerngesund sein und trotzdem großartig als Schauspieler*in agieren.
SourceTuning® ist inzwischen nicht nur eine Schauspieltechnik, sondern auch eine Methode zur Persönlichkeitsentwicklung und Körperpsychotherapie.
Wie kam es dazu, und was ist der Unterschied zur Anwendung im Schauspiel?
Ich gebe ja schon seit 24 Jahren den Workshop „Helden und Loser – Die Künstlerpersönlichkeit befreien“. In diesem Workshop werden schauspielerische Methoden wie Improvisation und SourceTuning® eingesetzt, um so etwas wie den eigenen kreativen Kern freizulegen. Das bedeutet auch, sich in vielerlei Hinsicht die Erlaubnis und einen guten Umgang zu geben, mit inneren Anteilen wie der eigenen Stärke, der eigenen Würde oder auch Schönheit in ein gutes Verhältnis zu treten. Diese Arbeit war für viele Schauspieler*innen positiv lebensverändernd. Ich dachte schon länger, dass es da ein heilsames Potential gibt. Und dann bin ich der Psychologiestudentin Jannika Petermann begegnet, die das genauso gesehen hat. Sie hat die Coaching-Ausbildung bei mir gemacht, und wir haben, wie vorher schon erwähnt, ein Forschungsprojekt dazu durchgeführt. Aufgrund der Ergebnisse, die die positiven Wirkungen auf Menschen gezeigt haben, haben wir die Technik gemeinsam auf diesem Gebiet weiterentwickelt. Jannika nutzt sie jetzt in ihrem Alltag als Psychologin mit großem Erfolg.
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© Carsten Zoltan | © Carsten Zoltan |
Wie sieht Dein Alltag aus? Bist du ein Workaholic?
Nein, überhaupt nicht. Ich liebe es, Urlaub zu machen, zum Beispiel in Spanien, mit einem guten Buch und leckerem Essen. Dann fehlt mir die Arbeit kein bisschen. Ich lasse wirklich los vom Alltag und bin sehr glücklich. Ich gehe aber manchmal an die Grenzen meiner Kraft, weil ich meine Kreativität nicht im Zaum halten kann.
🧩 Für alle da draußen
Ist es heute in dieser schnelllebigen Zeit überhaupt noch möglich, einen individuellen Weg zu gehen?
Wir bekommen in dieser Zeit jede Menge Möglichkeiten, rennen aber den technischen Entwicklungen gerade ziemlich hinterher. Als ich vor 25 Jahren startete, fingen wir gerade erst an, das Internet zu entdecken. Es kam hauptsächlich auf Mund-zu-Mund-Propaganda und persönliche Empfehlungen an, was ein ziemlich langsamer Prozess war. Heute gibt es ein ständig wandelndes und wachsendes Angebot. Man kann sich auf der einen Seite schneller und besser sichtbar machen und informieren, wenn man es klug angeht. Die Frage ist aber, wie nachhaltig das ist. Auch ich muss mich mit den Entwicklungen der Zeit bewegen und kann nicht so tun, als würde die Welt sich nicht weiterdrehen. Das, was mir mit meiner Technik zugutekommt, ist, dass wir immer noch mit einem Körper fühlende Menschen sind. Und es ist wichtig, mit diesem Körper gut verbunden zu sein. Das nimmt einem kein noch so gutes Programm ab.
Was würdest Du jungen Schauspieler*innen mit auf den Weg geben, die noch auf der Suche nach ihrem authentischen Ausdruck sind?
Ich würde Ihnen raten, wach zu sein, was ihre Lehrer und Coaches betrifft. Ein Gefühl dafür zu entwickeln: Werde ich wirklich gesehen, oder habe ich den Eindruck, ich muss die Vision meines Lehrers von mir erfüllen? Ich würde dabei auch unbedingt das Thema Freude als Barometer mit reinnehmen. Selbst wenn ich in diesem Beruf immer wieder über Grenzen gehen muss, die im ersten Moment nicht angenehm sind, kann mein Gegenüber mir das so vermitteln, dass ich Freude dabei empfinden kann, und es mir Lust auf innere und äußere Prozesse als Künstler*in macht.
Was wünschst Du Dir für unsere Branche?
Ich wünsche mir für unsere Branche Kommunikation auf Augenhöhe zwischen allen Gewerken. Ein kreatives Ineinandergreifen, kreative Bälle auffangen und zurückspielen, statt Angst zu haben, es könnte mir etwas weggenommen werden. Mehr Freude am Teamwork, statt starre Hierarchien. Wirkliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist ein sehr wichtiges Thema. Ich glaube, da ist schon einiges in Bewegung, aber es gibt definitiv Luft nach oben.
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